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Interview mit Jeanette Obereisenbuchner

Drazen Boric, Vertriebsmitarbeiter im Qufora-Team, führte im Juni ein Interview mit Jeanette Obereisenbuchner zu den Themen Darmmanagement, Ernährung und rektale Irrigation. Die Diätassistentin, medizinische Ernährungsberaterin und Expertin für neurogene Darmfunktionsstörungen ist seit 1998 an den Kliniken Beelitz tätig und betreut unter anderem Menschen mit Querschnittlähmung und Stoffwechselerkrankungen.

Jeanette Obereisenbuchner
1. Was versteht man unter dem Begriff Darmmanagement?

Zum Begriff des Darmmanagements gibt es eine seit 1998 angewandte Definition.

„…umfasst die Gesamtheit aller Aktivitäten, die dazu dienen die Darmentleerung zu steuern. Ziel ist eine regelmäßige, geplante, möglichst vollständige sowie zeitlich begrenzte Defäkation zu erreichen“.

Consortium for Spinal Cord Medicine: Neurogenic Bowel Management in Adultswith Spinal Cord Medicine, Washington, 1998

Ergänzend hinzu zu fügen wäre „…das Erreichen einer adäquaten Stuhlkonsistenz, Gesundheit und Wohlbefinden erhalten, Komplikationen und ungeplante Stuhlentleerungen vermeiden bzw. eine sekundäre Stuhlkontinenz erreichen.

Beim Darmmanagement handelt es sich um einen Prozess, welcher das Assessment, die individuelle Planung und Durchführung der Intervention unter Berücksichtigung individueller Einflussfaktoren, die Beurteilung des Outcomes sowie die Evaluation beinhaltet. Klinisch betrachtet erfordert ein erfolgreiches Darmmanagement immer eine multiprofessionelle Zusammenarbeit eines interdisziplinären Teams“.

S2k Leitlinie „Neurogene Darmfunktionsstörung bei Querschnittlähmung“ 08-2019

2. Laut der therapeutischen Pyramide für neurogene Darmfunktionsstörungen werden abgestuft Maßnahmen angewandt. Wie gehen Sie in der Regel vor?

Die Therapiepyramide diente in ihrem Ursprung der Einordnung der transanalen Irrigation im Vergleich zu den anderen Maßnahmen. Sie stellt keine lineare Nutzungsabfolge der in der Anordnung dargestellten Therapieoptionen dar. Somit bildet sie auch nicht 1:1 den Alltag des Darmmanagements ab. Das gilt insbesondere für die operativen Maßnahmen.

Zunächst muss die Phase der Querschnittlähmung in der sich der Betroffene befindet, Berücksichtigung finden. Das umfasst die gesundheitliche Stabilität, Mobilität, Medikation, Ernährung, Verdauungssituation und Verträglichkeit.

Diese Faktoren bilden die Grundlage der Zielsetzung und Maßnahmenplanung.

Ein Mensch mit einer frischen Verletzung hat gegenüber einem Betroffenen der sich bereits in der rehabilitativen Phase oder sich poststationär schon wieder in der Häuslichkeit befindet sehr unterschiedliche Ansprüche.

Die Therapiepyramide muss deshalb immer im Kontext mit der aktuellen Situation des Betroffenen Anwendung finden.

Dennoch lassen sich allgemeingültige Therapieansätze ableiten. Die Ernährung und Trinkmenge spielen immer eine zentrale Rolle. Unter Ausschluss von Kontraindikationen ist eine ballaststoffreiche Kost primär Mittel der ersten Wahl. Die Menge und Auswahl der entsprechenden Nahrungsmittel orientieren sich an den bereits genannten medizinischen Kriterien der Therapiephasen.

Darauf aufbauend werden geeignete orale und rektale Maßnahmen gewählt, die entsprechend des definierten Behandlungs-/Therapieziels kurz-, mittel- oder langfristigen Einsatz finden sollen. Um ein zielführendes und stabiles Darmmanagement zu etablieren, sind eine regelhafte Evaluation und die erforderliche Anpassung der Maßnahmen unabdingbar.

 Stufenweises Vorgehen bei gestörter Darmentleerung

Christensen, Peter: Colonic Irrigation for Disordered Defecation: Diss. Faculty of Health Sciences, Aarhus University, 2009, S. 69

3. Was kann man mit einer Umstellung der Ernährung erreichen, welchen Zeitraum muss man dafür vorsehen und welche Grenzen hat diese?

Die Ernährung incl. der Trinkmenge stellen die therapeutische Basis des Darmmanagements und deshalb auch wichtigste Säule der Therapiepyramide dar.

Sie bestimmt nicht nur den Ernährungszustand, sondern auch die Aktivität und Förderung einer adäquaten Verdauung und entscheidet über die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota, dem körperlichen Wohlbefinden und der Leistungsfähigkeit.

Ebenso ist sie stark einflussnehmend auf die zu erwartende Darmentleerung in Bezug auf Stuhlmenge, Konsistenz, intestinalen Transport und Peristaltik, Entleerung und den Bedarf an weiteren oralen/rektalen Abführmaßnahmen.

Ernährungstherapeutische Empfehlungen zur Umstellung, Optimierung oder situativen Anpassung der Ernährung unterliegen vielschichtigen Kriterien.

Nahrungsmittel, deren Inhalte und Verarbeitung zu einer Speise, Gewürze, Kräuter sowie Portionsgröße und Tagesmenge, die individuelle Verdauungsleistung, im Zusammenhang mit Gesundheitszustand, Aktivitätsgrad und Medikation bilden eine Einheit. Daraus resultiert eine sehr individuelle Herangehensweise hinsichtlich der Umsetzung.

Grundsätzlich muss eine stabile Ernährungsform gefunden werden, die in ihrer Zusammensetzung und Wirkung, vor allem auch der Ballaststoffe, eine Bewertung und Verbesserung hinsichtlich des Darmmanagements zulässt.

Darauf basierend, können dann einzelne Lebensmittel sehr schnell gefiltert werden, die nach ihrem Verzehr zu Unverträglichkeiten oder Beschwerden führten bzw. deren Ausschluss eine Veränderung verursachten.

 

Ganz einfach zusammengefasst, kann der nie stattgefundene Verzehr eines großen Salattellers zu plötzlichen Beschwerden wie Blähungen führen, was situativ zu einer negativen Bewertung führt.

Selbigen regelhaft gegessen, kann eine deutliche Verbesserung der Stuhlmenge/Konsistenz hervorbringen, die Darmentleerung erleichtern, Menge und Wahl zusätzlicher ggf. auch unnötiger Abführmaßnahmen positiv beeinflussen. Die Bewertung dafür wäre nachhaltig positiv.

Es muss jedoch Eines klar sein, die Ernährung ist nicht die Ursache der neurogenen Darmfunktionsstörung und kann diese auch nicht heilen. Sie ist aber ein wesentlicher Therapiebaustein der über weitere Maßnahmen mitbestimmt.

Alle Maßnahmen und Ergebnisse müssen sich im Verlauf reproduzieren lassen um eine abschließende Erfolgsbewertung vorzunehmen. So gilt auch das Ursache und Folge Prinzip in der Darstellung des Problems als bewertungsrelevant. Trinkt ein Patient beispielsweise zu wenig, aus Sorge vor inkontinenten Ereignissen, kann sich daraus eine Verstopfung (Obstipation) entwickeln. Während bei dem Einen einzelne Maßnahmen eine sofortige Verbesserung erreichen können, sind bei anderen feinste Justierungen erforderlich, die Wochen oder auch Monate beanspruchen.

4. Können Sie sich eine typische Strategie vorstellen, um zum Beispiel einer Verstopfung zu begegnen?

Eine Verstopfung (Obstipation) ist multifaktoriell zu betrachten und resultiert in aller Regel aus einer Einflussmischung von Ernährung, Bewegung, Trinkmenge, Aktivitätsgrad und Medikation ggf. auch psychischen Komponenten in unterschiedlicher Fraktionierung. Als Erstes muss eine Bestandsaufnahme erfolgen.

Diese beinhaltet Fragen nach der letzten vollständigen Darmentleerung, möglichen einflussnehmenden Veränderungen, bisherigen Maßnahmen und der Häufigkeit des Problems, um erforderliche Maßnahmen festzulegen.

Das bestehende Problem muss ggf. sehr schnell oder vorbeugend gelöst werden.

Als Therapiesäulen sind eine ballaststoffreiche und bedarfsdeckende Ernährung, adäquate Trinkmenge, und der Problematik förderliche orale oder rektale Maßnahmen im Ersten zu benennen.

Diese sind dann in Kombination einer möglichen Steigerung der Aktivität bzw. physikalischen Therapeutika wie eine Kolonmassage einzusetzen.

Sind medikamentöse Ursachen verantwortlich, bleibt zu klären ob diese nur zeitlich begrenzt oder dauerhaft eingenommen werden. Das gilt auch für den Zeitrahmen hinsichtlich der Notwendigkeit einer Bettruhe z.B. beim Vorliegen eines Dekubitus.

In diesen Fällen muss das Darmmanagement situativ oder grundsätzlich angepasst werden.

Besteht ein gut funktionierendes Darmmanagement, mit all seinen erforderlichen obstipationspräventiven Maßnahmen, werden diese häufig nach einiger Zeit reduziert oder gar eingestellt. In vielen dieser Fälle mündete dieser Umstand recht schnell in einer Verstopfung (Obstipation).

5. Gibt es neben der Ernährungsanpassung noch weitere Faktoren, die eine Darmentleerung positiv beeinflussen können?

Selbstverständlich. Die Abführmethode und auch der Abführrhythmus müssen zum jeweiligen Betroffenen und dessen Problem passen.

Allgemein gehören Bewegung, gesunder Schlaf und Entspannung zu den positiven Einflussfaktoren.

Weiterführend können beispielsweise eine geeignete Abführposition, WC- Sitzerhöhungen, Fußhocker oder Kolonmassagen hilfreich sein. Pflegerische Abhängigkeit und Möglichkeiten der Versorgung können hier auch einen erheblichen Einfluss nehmen.

Neurogene Störungsbilder der Darmfunktion sind sehr vielschichtig auftretend und in Abhängigkeit der Lähmungshöhen und Vollständigkeit der Querschnittlähmung zu sehen.

Wie effektiv ist die rektale Irrigation?

Christensen P et al. Scintigraphic assessment of retrograde colonic washout of fecal incontinence and constipation. Dis Colon Rectum 2003; 46:68-76. Christensen P, Krogh K, Scand J. Transanal irrigation for disordered defeca- tion: a systematic review. 29 Gastroenterol, 45:517–527. 2010

6. Welche Erfahrungen machen Sie mit der rektalen Irrigation?

Zunächst gilt es infrage kommende Betroffene mit der entsprechenden Indikation und Anwendungsvoraussetzungen zu filtern.

Werden die Betroffenen von Beginn an gut ins Darmmanagement einbezogen, rechtzeitig und angemessen über aktuelle und perspektivisch erforderliche Maßnahmen/Zielsetzungen informiert, sind sie der TAI gegenüber gut vorbereitet.

Darüber hinaus wird der Erfahrungswert des Betroffenen durch die Schulung und engmaschigen Anwendungsübungen mit versiertem Pflegepersonal bestimmt.

Das setzt voraus, dass genügend geschultes und versiertes Pflegepersonal verfügbar ist, die Anwendungsübungen regelhaft und in einem geeigneten Setting erfolgen sowie eine gesicherte Überleitung in die Häuslichkeit/Institution erreicht werden kann. Sind diese Kriterien erfüllt, sind unsere und die Erfahrungen des Betroffenen mit der TAI sehr gut.

7. Wann macht es Ihrer Meinung nach Sinn die rektale Irrigation einzusetzen?

Die TAI ist nicht erste Maßnahme des Darmmanagements mit der Klinikaufnahme. Der Beginn kristallisiert sich meist im Verlauf heraus, wenn vorherige konservative Maßnahmen erfolglos ausgeschöpft wurden.

Für die Betroffenen ist dieser Schritt der Weg in ein völliges Neuland. Es erfordert die Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen des Darmmanagements sowie den körperlich, klinisch und häuslichen Voraussetzungen.

Nach unseren klinischen Erfahrungen handelt es sich meist um Patienten, die trotz aller Bemühungen unter häufigen inkontinenten Ereignissen leiden und /oder zudem einen fehlenden oder unzureichenden analen Sphinktertonus haben. In der Häuslichkeit kann sich das durchaus auch anders darstellen, die Entscheidung dazu anderen Kriterien unterliegen bzw. erst dann die Entscheidung durch den Betroffenen gefällt wird.

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